Edo Frenkel und David „Clay“ Mettens sind zwei junge Musiker und Komponisten aus den USA, die im Sommer 2017 am Composer Conductor-Workshop INK STILL WET unter der Leitung von Brad Lubman teilnahmen. Ihre Erfahrungsberichte von der Arbeit mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich schildern die Geburtsstunden zweier spannender Musikstücke. Die Uraufführungen fanden am 22. August im Auditorium Grafenegg statt.
Edo Frenkel:
Seit dem Ende des INK STILL WET-Programms im Rahmen des Grafenegg-Festivals habe ich viel über die transformative Erfahrung nachgedacht, die ich dort gemacht hatte. Ein offensichtlicher Grund, warum dieses Programm so besonders ist, ist die einzigartige Prämisse: einer jungen Komponistin bzw. einem jungen Komponisten wird die Möglichkeit gegeben, eine Aufführung ihrer/seiner Musik durch das eigene Dirigat zu gestalten und zu verbessern. Allerdings ist diese Beschreibung unzureichend, um die Reichweite und Besonderheit des Festivals auszudrücken.
Für mich gab es einen natürlichen Prozess des Wachstums. Im Laufe der Proben veränderte sich meine Arbeit. Das Stück verwandelte sich in etwas, das über meine Vorstellung hinausging. In etwas, bei dem ich mir nicht sicher war, ob es noch mir gehörte, dem Orchester, oder beiden. Zwischen meinen Bewegungen, den Bewegungen des Orchesters und den darauffolgenden Klängen war eine Verbindung entstanden.
Es ist merkwürdig, seine eigene Musik zu dirigieren. Es macht einen plötzlich nicht nur für die Ideen des Stücks verantwortlich, sondern auch für die Art, wie sie dargestellt und verstanden werden. Dieser Prozess macht einem die Komplexität der eigenen Ideen bewusst, und diese Verwundbarkeit ist vielleicht der wichtigste Aspekt und die größte Belohnung für die Teilnehmenden am Workshop. Im Laufe des Probens wurde ich offen für jegliche Form, die mein Stück nehmen würde, und ich spürte, dass sich meine musikalischen Ideen zum Besseren änderten. Ideen strömten auf mich ein und das aufregende Gefühl von Abenteuer überflutete mich, als hörte ich meine Musik zum ersten Mal.
Ich hatte außerdem das Gefühl, dass alle teilnehmenden Komponisten sich ähnlich fühlten. Durch die fachkundige Anleitung des Mentors Brad Lubman verwandelte sich unsere Verwundbarkeit zu einer Art Verbundenheit untereinander, den großartigen Musikerinnen und Musikern des Tonkünstler-Orchesters und dem Klang unserer Musik, die den Saal erfüllte. Erst nach der Aufführung stellte ich fest, dass wir durch diesen Prozess und durch das Eintauchen in die jeweils andere Musik uns selbst und einander auf eine besondere Weise kennengelernt hatten.
Für mich war das der wahre Zauber von Grafenegg: die Komponisten, unser Mentor und das Orchester, alle waren wir mit unseren Erwartungen angekommen. Durch die gemeinsame Arbeit lernten wir einander besser kennen und eine bereichernde Kreativität entstand, die noch immer da ist, auch nachdem alle abgereist sind. Diese Erfahrung hat mich grundlegend musikalisch beeinflusst und wird mir bleiben, während ich weiterhin an meiner Karriere arbeite und als Musiker wachse. Ich erinnere mich an die Baumpflanzungszeremonie, die das Grafenegg Festival eröffnete. Ich frage mich, ob es nicht genau das ist, was auch mit uns geschehen ist: Wir wurden wie ein Baum behutsam eingesetzt und gepflegt, sodass wir uns musikalisch verwurzeln konnten dank des kreativen Nährbodens in Grafenegg.
David „Clay“ Mettens:
Gegen Ende des INK STILL WET-Programms begann ich die Rolle des Dirigenten als Vermittler zwischen der abstrakten, immateriellen Partitur des Komponisten und den physischen Handlungen zu verstehen, die notwendig sind, um die Musik zu produzieren. In dieser Rolle des Vermittlers besteht die Hauptaufgabe des Dirigenten darin, zu kommunizieren: die Erfordernisse der Partitur an die Musikerinnen und Musiker zu vermitteln und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Instrumenten zu erleichtern. Neben den offensichtlichen musikalischen Qualifikationen, die ein guter Dirigent besitzen muss – ausgezeichnete Ohren, beständiges Taktgefühl, Kenntnisse der Spieltechniken vieler Instrumente usw. – muss ein Dirigent auch die zwischenmenschliche Dynamik beim Musizieren beachten.
Als ich das Tonkünstler-Orchesters in Grafenegg dirigierte, war ich zum ersten Mal in dieser Rolle des Vermittlers. Sowohl vom Dirigenten/Komponisten Brad Lubman als auch vom Orchester habe ich vieles darüber gelernt, was es bedeutet, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Im Dirigierworkshop bei Brad Lubman lernte ich, meine Bewegungen deutlicher zu machen und durch sie dem Orchester zu bestätigen, dass sie richtig waren. Er ermutigte mich dazu, Dirigieren als das Spielen eines Instruments anzusehen und mir die Bewegungen meiner Hand wie das präzise Klickgeräusch auf einem Holzblock vorzustellen. Oder aber sollte ich wahlweise versuchen, das hervorzuheben, was die Musikerinnen und Musiker mit ihren Instrumenten tun müssen, um jene Klänge zu produzieren, zu denen ich sie aufforderte – und dies stets im Auge zu behaltend, während ich für die verschiedenen Abschnitte des Stückes angenehme Tempi wählte. Am ersten Tag der Proben dirigierte ich das Stück zu schnell, was dazu führte, dass einige rhythmische Passagen in den Holzbläsern und auf dem Marimba hektisch klangen. Am zweiten Probentag und bei der Generalprobe folgte ich Brads Rat und nahm das Tempo dieses Marimba-Teils, um mir vorzustellen, wie schnell oder langsam das ganze Stück sein sollte.
Ein Gespräch mit dem Konzertmeister betonte ebenfalls die Bedeutung von Kommunikation. In einer Passage wollte ich die ersten Geigen divisi spielen lassen. Die eine Hälfte sollte eine schwierige Folge von Rhythmen mit einigen der zweiten Violinen spielen. Der Konzertmeister wies mich jedoch darauf hin, dass diese Art der Teilung der oberen Streicher es schwieriger mache, miteinander zu kommunizieren, sodass die paar Takte heikel und unsicher würden. Das war ein faszinierendes Beispiel dafür, wie eine zwischenmenschliche Frage – das Divisi-Spiel der ersten Violinen und die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Gruppen – einen so tiefen Einfluss auf ihre musikalische Verwirklichung der Passage haben könnte.
Ich denke, dass alle Erfahrungen, die ich bei INK STILL WET machen konnte, meine Arbeit als Komponist beeinflussen werden. Beide hier zitierten Beispiele machen deutlich, wie wichtig es ist, an die Interpretinnen und Interpreten zu denken und nicht nur abstrakte Konstellationen von Tonhöhen und Rhythmen zu komponieren. Beim Aufbau meiner Stücke werde ich mich darauf konzentrieren, wann die Musikerinnen und Musiker als Gruppe zusammenspielen und wann sie sehr unabhängig sein sollen. Jetzt, nachdem ich diese wertvolle Erfahrung als Dirigent machen durfte, kann ich meine Absichten besser und klarer vermitteln, damit wiederum andere Dirigentinnen und Dirigenten sie an die Musikerinnen und Musiker weitergeben können.