Von Julia Kospach
Als Erste wissen es immer die Vögel. Im dunklen Schatten und an den Nordrändern der Wiesen liegen da und dort letzte weißgraue Schneeflecken, die Beete sind leer, die Äste kahl. In den Nächten hält der Frost die Welt noch im Griff, und frühmorgens zeigen einem kleine, neblige Atemwolken, dass der Winter sich gerade erst umgedreht hat, um aus der Tür zu gehen. Seine Nähe ist noch spürbar, doch ein anderer Gast ist schon im Begriff einzutreten. Die Vögel künden schon seit Wochen von seiner nahenden Ankunft. Ihr Gesang ist lauter geworden, mehrstimmiger und selbstbewusster. Man hört sie am Morgen, zu Mittag und in der Dämmerung aus den Baumwipfeln und Sträuchern.
Da fällt einem mit einem Mal wieder auf, wie still es ein paar Monate lang gewesen ist, und wie sehr das Zwitschern und Tirilieren, das Piepsen und sehende Rufen gefehlt hat, diese ganze von Klängen und Tönen erfüllte Luft. Und plötzlich, als ließen die Vogelstimmen auch die Sinne wieder auftauen, öffnet man die Augen ein Stück weiter und bemerkt all die anderen Anzeichen, auf die man doch eigentlich so sehnsüchtig gewartet hat: Die Knospen an Zweigen und Sträuchern sind dick und prall. Man spürt buchstäblich, dass sie in den Startlöchern zum Aufplatzen sitzen. Und da, die Blütenknospen des Forsythienstrauchs. Sie sind gelb überhaucht. Es bräuchte nicht mehr als ein, zwei, drei laue Vorfrühlingstage und schon öffneten sie sich. Und hier, wie konnte man es es übersehen? An der sonnigen Mauer hat inmitten eines noch leeren Beets ein Büschel Schneeglöckchenblüten die weißen Häupter gehoben.
Wochenlang hatte man vergebens auf den Boden und die Äste gestarrt. Eins ums andere Mal suchte man mit den Augen Nähe und Ferne ab, aber da war nichts Frisches, woran der Blick sich heften konnte. Doch dann, eines Tages, schaut man und sieht halb unter einer Wurzel verborgen eine erste lila Blüte. Fünf Meter weiter unter der Hecke noch eine. Die freundlichen Gesichter der Leberblümchen. Da sind sie. Sie sind kaum ein paar Zentimeter hoch. Fast hätte man sie übersehen, aber sie sind da. Man begrüßt sie freudig, als wären sie alte Freunde, die den Winter woanders verbracht hat und endlich wieder nach Hause zurückgekehrt ist.
Schon stehen auch die ersten Krokusse auf der Wiese. Aufrecht und freundlich, in sonnigem Gelb. Wenn sie da sind, kommen auch die Blausternchen – und siehe da, einen Fußbreit von der alten Linde steht schon ein erster knospiger Stängel und es dauert keinen Tag und er hat sich entfaltet und zeigt vier, fünf kleine blitzblaue Sternblüten.
Da weiß man es wieder: Es ist die Zeit, wo Park und Garten, Wiese und Wald mit solcher Vehemenz wieder zum Leben erwachen, dass man sich bald gar nicht mehr vorstellen kann, mit wie viel Sehnsucht man darauf gewartet hat. Schlagartig haben sich die erbsengroßen, kugelrunden Knospen am Dirndl-Strauch geöffnet. Sie sehen aus der Nähe aus, als würden einem Abertausende grellgelber Mini-Cheerleader-Pompons gleichzeitig entgegengestreckt. Wild entschlossen leuchten sie mit dem strahlenden Gelb der saftigen Winterlingblüten um die Wette, die mitten auf der Wiese einen runden Blütenteppich ausgelegt haben.
Treiben, öffnen, übertrumpfen
Die Tulpen fahren ihre spitzen Triebe mit viel Elan aus der Beeterde, dass man den Eindruck hat, unter der Erde säße jemand, der sie mit aller Kraft nach oben anschöbe. Im Herz der Primel-Blattrosetten, die flach und gekräuselt auf der Erde liegen, öffnet sich eine Blüte nach der anderen – und wie jedes Jahr verstecken sich unter den vielen cremegelben Blütenbüscheln auch ein paar, die eine lustige rosa oder blasslila Farbe haben. Im Wiesen-Sprenkeln übertrumpfen einander die schneeweißen Gänseblümchensternen mit den samtig-violetten Duftveilchen. Man schaut und schaut und ist putzzufrieden, fühlt sich eins mit den Dinge und denkt an einen Satz des britischen Nature-Writing-Schriftstellers Charles Foster: «Nur wer blind für die samtig fließende Bewegung von Raupenbeinen und taub gegen das Ächzen des Krokusses ist, wenn er die Erde durchbricht, kennt keine Gottesverehrung.» Klingt pathetisch? Sei’s drum. Solche erhabenen Gefühle können einen zu Frühlingsbeginn schon einmal erfassen. Dann soll man nicht spröd sein, sondern ihnen beschwingt nachgeben. Dazu ist es doch da, das Frühjahr!
Schon wärmt auch die Sonne wieder ordentlich, und unter den Zwitschergesang der Vögel hat sich eine stete Basslinie des Brummens und Summens gelegt. Dicke Hummelköniginnen trudeln in Bodennähe beseelt über die frisch ergrünenden Wiesen. Bienen sitzen auf den pollenbestäubten Hängeblüten-Würsteln der Haselnusssträucher und auf den fellweichen grauen Kätzchen der Weiden, und im Auwald weiß man nicht, wohin man den Fuß setzen soll, weil Millionen Schneeglöckchen riesige, weißglöckchenbestandene Flächen besetzt halten.
Doch der schönste Moment kommt erst. Spätestens dann weiß man ganz sicher, dass das neue Wachsen und Sprießen vollends unumkehrbar geworden ist. Eines Tages hebt man den Blick und über die Baumwipfel, vor allem über die Birken und Buchen, hat sich ein zarter, leuchtend hellgrüner Schleier gelegt. Keine dichtes Blätterdach, nein, das noch lange nicht, eher eine fast noch durchsichtige Welle aus zartem Grün unter einem blassblauen Märzhimmel mit transparentweißen Wolkenfetzen. Es ist ein Grünton, der zur Gänze aus Helligkeit zu bestehen scheint. In ihm ist auch die milde Frühjahrssonne enthalten, deren Strahlen ganz ohne Mühe durch dieses Grün hindurch bis auf den Boden finden. Dort, wo später im Jahr dichter, kühler Blattschatten sein wird, sind jetzt lauter tanzende Lichtpunkte und dieses unvergleichlich helle Grün, das die eigentliche Farbe des Frühlings ist.
Julia Kospach ist Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin mit den Schwerpunkten Literatur, Kulturgeschichte, Natur und Garten.
Factbox «Grafenegger Frühling»
Grafenegg lädt heuer erstmals zu einem Frühlingsmarkt mit einem hochkarätigen musikalischen Rahmenprogramm ein. Im edlen Ambiente des Schlosses und in der Idylle des Parks lassen sich von 31. März bis 2. April die schönsten Facetten des Frühlings erleben. Musikalische Höhepunkte sind das Karfreitags- und das Ostersonntagskonzert im Konzertsaal Auditorium. Mozarts «Requiem» wird am 30. März vom Tonkünstler-Orchester unter der Leitung von Rinaldo Alessandrini interpretiert. Am 1. April begrüßt das European Union Youth Orchestra unter seinem Chefdirigenten Vasily Petrenko mit einem stimmungsvollen Programm den Frühling. Solist ist der Pianist Till Fellner.
Karten und nähere Infos:
grafenegg.com/fruehling oder +43 1 586 83 83