«So feiern wir das hohe Fest»
Betrachtungen und Worte zum Osterfest (vorgetragen am Karfreitag 2018, Wiedergabe in gekürzter Form)
Von Hannes Etzlstorfer
Es ist Karfreitag – und wieder einmal steht Ostern unmittelbar bevor, das es genaugenommen unter den Wucherungen von Kommerz, Freizeitstress und zunehmenden gesellschaftlichen Erosionserscheinungen wieder zu entdecken gilt. Vorwurfsvoll wird Parsifal im gleichnamigen Bühnenweihfestspiel Richard Wagners von Gurnemanz befragt: «Woher kommst du denn? Bei welchen Heiden weiltest du, zu wissen nicht, dass heute der allerheiligste Karfreitag ist?» Die Frage drängt sich auf: Wissen wir denn heute, was uns der Karfreitag, was uns Ostern bedeuten soll? «Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln» – schrieb der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945, kurz nach Ostern, durch das NS-Regime hingerichtet wurde. Mit der Auferstehung Christi hoffen wir auf ein Leben nach dem Tod. Diese Botschaft des Osterfestes ist daher gegen das Dunkel von Ungerechtigkeit und Gewalt gerichtet.
Festes Vertrauen
Ostern begründet damit auch das feste Vertrauen, dass am Ende alle Tränen abgewischt werden und alles Unrecht zurechtgerückt werden wird. Ostern soll uns dabei aber auch im Jetzt die Kraft geben, schon jetzt für Gerechtigkeit und die Überwindung der Gewalt einzutreten. Mit dem Karfreitag beginnt heute die österliche Dreitagesfeier, das sogenannte Triduum Sacrum. Für Angehörige der Evangelischen, der Altkatholischen sowie der Methodistenkirche stellt er überdies einen gesetzlichen Feiertag dar. Christen gedenken heute weltweit der Kreuzigung und des Todes Jesu Christi. Obwohl der staatliche Schutz ursprünglich christlicher Feiertage immer weniger den innerkirchlichen Zielen gilt, haben noch fast alle Bundesländer in ihren Veranstaltungsgesetzen einen Passus, wonach am Karfreitag keine Veranstaltungen abgehalten werden dürfen, die «den Charakter dieses Tages oder die religiösen Gefühle der Bevölkerung stören».
Auch hier bildet in Kürze ein Konzert den Auftakt zum Grafenegger Frühling, das dem «Charakter dieses Tages» gerecht werden möchte: Am geistlichen Programm steht Johann Sebastian Bachs Osterkantate «Christ lag in Todesbanden», gefolgt von Mozarts unvollendetem Requiem. Bach verwendet in seinem zwischen 1707 und 1713 entstandenen Frühwerk einen Text von Martin Luther, der hier vertraute Motive und Metaphern aufbietet: Da ist die Rede vom alten Sauerteig, vom Stachel, den der Tod durch Jesu Auferstehung verloren hat, vom wunderlichen Krieg, den «Tod und Leben rungen» sowie vom rechten Osterlamm. (…)
Ausgehöltes Osterfest?
Welchen Beitrag kann nun eine Veranstaltung wie der Grafenegger Frühling zum Thema Ostern und Frühling leisten? Programmatisch sind hier die Absichten klar definiert: Musik, Kultur, Garten und Genuss sollen hier im historischen Schlossareal von Grafenegg eine Vielfalt an Begegnungs- und Erholungsmöglichkeiten bieten. Bedarf es überhaupt eines zusätzlichen Frühlingsevents inmitten einer Zeit konkurrenzierender Ostermärkte und bereits streng eingetakteter Freizeit? Ist Ostern in Zeiten um sich greifender Entkonfessionalisierung und steigendem Misstrauen gegenüber allem Religiösen als Fest bereits überholt? Wurde dieses bedeutendste aller christlichen Feste nicht schon derart ausgehöhlt, dass es vielleicht ehrlicher wäre, diesen traditionellen Freiraum zum allgemeinen Chill-out-Termin, zum ausgelassenen Rasenmäherauftakttreffen oder zur fröhlichen Massenflucht nach Mallorca zu erklären?
Steht nicht jede Feier, jedes Fest im Verdacht, nur die Banalität des Lebens, die Flüchtigkeit des Glücks oder einfach das Elend des monotonen Alltags kurz zu übertünchen? Derart argwöhnte jedenfalls schon Arthur Schopenhauer: «Überhaupt aber tragen glänzende, rauschende Feste und Lustbarkeiten stets eine Leere, wohl gar einen Misston im Innern; schon weil sie dem Elend und der Dürftigkeit unseres Daseins laut widersprechen, und der Kontrast erhöht die Wahrheit.» Es geht eben um diesen notwendigen Kontrast, den die Feste zum Arbeitsalltag bilden und den Shakespeare auf den Punkt zu bringen wusste: «Wenn alle Tage im Jahr gefeiert würden, wäre Spiel so lästig wie Arbeit.» Heute ist die Nutzung von kirchlichen Feier- und Gedenktagen vielfach nur mehr an die Frage gebunden, wie man aus diesem gemeinsamen Tag der Arbeitsruhe ein Maximum an Erholung, Kommunikation, Gemeinschaftserfahrungen und damit den größtmöglichem Abstand zum Arbeitsalltag herausholen kann.
Wo synchrone Rhythmen bei der Gestaltung von Feiertagen verloren gehen, ist, wie zuletzt Winfried Haunerland schrieb, selbst das gemeinschaftliche Leben in Ehe und Familie gefährdet. Gerade in diesem Umstand sehe ich die große Chance für den Grafenegger Frühling und seinem breiten Angebot zur Entschleunigung und gemeinsamen Erholung, auf die wir gerade an dieser Jahreszeitenwende vom finstern Winter zum hoffnungsfrohen Frühling so angewiesen scheinen. (…)
«Begreifen» von Ostern
Warum tun wir uns aber mit dem Osterfest so schwer? Liegt es am Inhalt, dass Ostern gegenüber Weihnachten so verblasst? Mitten im Winter empfinden wir ja das Fest der Geburt Jesu als einen freudigen Lichtblick, der nicht nur jeder Mutter nachvollziehbar erscheint. Bethlehem mit seinen Stalltieren, Hirten und illustren Sterndeutern, die ihre Aufwartung mit beziehungsvollen Geschenken machen, bilden den Rahmen dieser «Erfolgsstory von Bethlehem». Sie geht freilich in Jerusalem recht abrupt und blutig zu Ende. Ostern wird von so herben Themen wie dem Verrat Jesu, seiner Todesangst und grausamen Geißelung sowie seinem qualvollen Tod am Kreuz überschattet. Aber wie lässt sich diese Passion mit der geheimnishaft geschilderten Auferstehung Jesu von den Toten zu einer emotionalen Einheit verschmelzen? Während uns ja Angst, Leiden und Sterben beim Tod von uns liebgewordenen Menschen stets aufs Neue gegenwärtig sind, brauchen wir für das Bild der Auferstehung oft zusätzliche Bilder und Eindrücke, um diesen Ostergeschehen im wahrsten Sinne des Wortes zu «begreifen.» Das Wiedererwachen der Natur oder die Aussaat am Felde sind solch vertraute Bilder. Dazu gesellten sich besondere Osterbräuche, Mythen, Legenden und theologisch Unverdautes, die im österlichen Volksglauben im Laufe der Zeiten überwuchert wurden.
Dieser Grafenegger Frühling möchte sich auch diesbezüglich als Wissensvermittler von Volkskultur positionieren: Verschiedene Experten wie Ethnologen, Volkskundler, Kräuterpädagogen, Gärtner oder Bäcker wurden eingeladen, um in entspannter Atmosphäre – umrahmt von kulinarischen Angeboten – über die vielfältigen Frühlings- und Osterbräuche und -traditionen zu sprechen. (…) Und dann ist da noch die Musik.
Wenn Musik über das Wort hinausführt
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. forderte einst, dass sich diese liturgische Musik in erster Linie am Wort Gottes orientieren müsse: «Die Musik muss den Menschen über das Wort hinausführen, ihn in den kosmischen Lobpreis des Sanctus integrieren und sein Herz zu Gott erheben.» Wenn hier in Kürze Johann Sebastian Bachs frühe Osterkantate «Christ lag in Todesbanden» erklingt, dann bekommen wir vielleicht auch eine Ahnung davon, was hier der Papst einforderte. Mit Bachs Musik werden Martin Luthers Verse «Christ lag in Todesbanden für unsre Sünd gegeben, Er ist wieder erstanden und hat uns bracht das Leben; Des wir sollen fröhlich sein, Gott loben und ihm dankbar sein. Und singen halleluja, Halleluja» über die Zeiten hinweg mit neuem Leben erfüllt. Während Luthers österliche Zeilen nur so von Heilsgewissheit strotzen, muss sich Mozart in seiner beklemmend dichten Totenmesse mit einem streng strafenden Gott als strengen Weltenrichter auseinandersetzen.
Es geht hier um den Zorn Gottes, um Gericht, Vergeltung und Abrechnung. In dieses scheinbar unerbittliche Weltgerichtsbild, das Mozart in seinem Requiem zum Lodern bringt, hat er aber auch die Hoffnung auf Vergebung eingeschrieben. Grund dazu liefert einmal mehr das Passions- und Ostergeschehen, wenn Mozart etwa im Recordare, Jesu pie folgende Zeilen vertont: «Gedenke, o du treuer Jesus, dass ich der Grund bin für deinen Weg. Verdirb mich nicht an jenem Tage. Mich suchend hast du dich erschöpft, hast mich errettet, indem du das Kreuz erlittest. Solch grosse Mühe sei nicht vergeblich. Gerechter Richter der Vergeltung, schenke Vergebung vor dem Tag der Abrechnung.» Im Ingemisco wird diese Hoffnung noch präzisiert: «Ich seufze als ein Schuldiger, Schuld rötet mein Gesicht. Dem demütig Bittenden gewähre Schonung, Gott. Der du Maria vergeben hast und den Schächer erhört hast, hast auch mir Hoffnung geschenkt. Meine Bitten sind es nicht wert, aber du, Guter, lass Güte walten.» Dieser Vorstellung von einem unerbittlichen Gott möchte ich am heutigen Karfreitag mit Dietrich Bonhoeffer entgegnen: «Der letzte Ruhm ist nicht, dass die Welt gerichtet und verurteilt wird, sondern dass Christus durch sein Kreuz, das auch das Kreuz der Gemeinde ist, die Welt begnadigt und Frieden macht.»