Von 11. bis 13. Mai 2018 finden in Grafenegg zum zweiten Mal die «Design Days» statt. Leon Botstein, künstlerischer Leiter des Campus Grafenegg, über Design, seine Uhrensammlung und über die außergewöhnlichen Konzerte der Grafenegg Academy Anfang Juli.
Herr Botstein, Sie sind Dirigent und Musikwissenschaftler. Was bedeutet Design für Sie?
Leon Botstein: Design ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Zivilisation. Die Räume, in denen wir leben und arbeiten, die Kleidung, die wir tragen, die Utensilien, die wir benutzen, die Möbel und die Innenumgebung – sie alle zeigen Dimensionen des Lebens, die für uns sonst unsichtbar sind. Die Architektur ist das prominenteste Beispiel für die Bedeutung von Design. Kurzum, das Verständnis der materiellen Kultur ist unverzichtbar. Design definiert den magischen Spiegel, in den die Menschheit ständig hineinblickt, um sich selbst zu verstehen.
Sie sammeln Uhren. Warum?
Botstein: Ich habe Instrumente der Messung der Zeit gesammelt, weil ich ein Musiker bin. Musik ist eine Kunstform, die die Zeit manipuliert und sie von der Uhr emanzipiert. Mein Interesse für Zeitmesser konzentriert sich auf Uhrmacherinnovationen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Uhren vor dem Computerzeitalter waren Meisterwerke der Kunst, des Designs, der Technik und des Handwerks. Sie verbinden Kunst mit Wissenschaft. Die Bemühungen, die Zeit mit zunehmender Präzision und auf unterschiedliche Weise (verstrichene Zeit, gleichzeitige Zeiten) zu messen, verlaufen parallel zu stilistischen Entwicklungen in der Musik, die der Wahrnehmung der Zeit im Alltag entgegenstehen – das Ergebnis der Tyrannei der Zeitmessung. Die Zeitmessung ist ein Hauptmerkmal der Moderne. Mein Dissertationsberater, der verstorbene David Landes, ein angesehener Historiker, war ein Sammler und schrieb ein inspirierendes Buch über das Thema «Revolution in Time». Auf persönlicher Ebene half mein Onkel, der im Warschauer Ghetto ermordet wurde, die wenigen Überlebenden in der Familie meiner Mutter zu retten, indem er 21 Schweizer Armbanduhren als Bestechungsgelder und Zahlungen ausgab. Meine Eltern schickten ihm diese Uhren aus der Schweiz und schon als Kind schwor ich, meinen Kindern 21 Schweizer Uhren als Erbe zu hinterlassen, symbolisch für den Willen zu überleben und die menschliche Grausamkeit zu besiegen.
«Musik im Kontext spielen, hören, begreifen» – das ist das Motto des Campus Grafenegg. Bei der Grafenegg Academy, die 2018 erstmals stattfindet, bringen Weltstars selten gespielte Werke großer Komponisten zur Aufführung. Was ist der Grundgedanke dahinter?
Botstein: Biographisch bedingt, bin ich seit jeher entschlossen, für die Unterrepräsentierten und zu Unrecht Vergessenen zu kämpfen. Ich wollte nach vergrabenen Schätzen suchen, von denen es viele gibt. Wenn wir eine lebendige neue Musik wollen, müssen wir die Geschichte der Musik in einer lebendigen Weise darstellen. In der Geschichte müssen wir die Bezüge zwischen den Komponisten, aber auch zwischen Musik und anderen kulturellen Ausdrucksweisen, der bildenden Kunst, Architektur, nicht zuletzt aber auch mit der Politik, Philosophie oder Theologie finden.
Wichtig ist dabei, einen Kontakt mit den Zuhörern aufzubauen. Wir erwarten am Campus Grafenegg sowohl ein traditionelles Publikum als auch Menschen, die erstmals ins Konzert gehen, sowohl jüngere als auch ältere. Wir wollen sie anstecken, wir wollen einen spannenden Rahmen zur Verfügung stellen, in dem alle aufeinander reagieren können, eine Gemeinschaft begründen können. Wir werden die Musiker und das Publikum gleichermaßen in Diskussionen verwickeln. Nach einer Aufführung, einer Diskussion, nach einem Konzert oder nach einer der hochkaratig besetzten Round-Table-Diskussionen, werden die Besucher merken, dass sie dazu beigetragen haben, etwas zu komplettieren. Hier gibt es keine Musik ohne Zuhörer. Die Zuhörenden vervollständigen das Werk, in realer Zeit an einem realen Ort.
Info:
Design Days, 11. – 13. Mai, design-days.at
Grafenegg Academy, 24. Juni – 8. Juli 2018. campus.grafenegg.com / Tel. 01 586 83 83