Von der Lerche bis zur Nachtigall: Wer den Kreislauf des Tages stimmungsvoll erleben will, dem bietet sich im Grafenegger Schlosspark eine Fülle an Eindrücken. An den Sonntagen während der Grafenegg Academy und während des Festivals erstreckt sich auch das Veranstaltungsangebot über den ganzen Tag. Am 1. Juli gelangt nun ein selten gespieltes Werk von Richard Strauss am Wolkenturm zur Aufführung, das sich thematisch vom ersten Sonnenstrahl bis zum Sternenhimmel spannt: «Die Tageszeiten» sind eine Art symphonische Folge für Männerchor und Orchester und basieren auf Texten von Joseph von Eichendorff. Wir haben die stimmungsvollen Verse mit Fotos aus Grafenegg verschränkt.
Der Morgen
Fliegt der erste Morgenstrahl
Durch das stille Nebeltal,
Rauscht erwachend Wald und Hügel:
Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!
Und sein Hütlein in die Luft
Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
Hat Gesang doch auch noch Schwingen,
Nun, so will ich fröhlich singen!
Hinaus, o Mensch, weit in die Welt,
Bangt dir das Herz in krankem Mut;
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt,
Der Morgen leicht macht’s wieder gut.
Mittagsruh
Über Bergen, Fluß und Talen,
Stiller Lust und tiefen Qualen
Webet heimlich, schillert, Strahlen!
Sinnend ruht des Tags Gewühle
In der dunkelblauen Schwüle,
Und die ewigen Gefühle,
Was dir selber unbewußt,
Treten heimlich, groß und leise
Aus der Wirrung fester Gleise,
Aus der unbewachten Brust,
In die stillen, weiten Kreise.
Der Abend
Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
Die Nacht
Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.
Die Berg im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern‘ gehn auf und nieder –
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?
Schon rührt sich‘s in den Bäumen,
Die Lerche weckt sie bald –
So will ich treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.
KONZERT-INFO:
SONNTAG, 1. Juli 2018 / 20 Uhr
«MUSIK ZWISCHEN GLAUBEN UND NOSTALGIE»
KONZERTVEREINIGUNG LINZER THEATERCHOR
LUBA ORGONÁŠOVÁ, Sopran
BERNARDA FINK, Alt
ELISABETH KULMAN, Alt
CHRISTOPHER MALTMAN, Bariton
LEON BOTSTEIN, Dirigent
Max Reger:
Requiem für Soli, gemischten Chor und Orchester op. 144b
Richard Strauss:
«Die Tageszeiten» Liederzyklus für Männerchor und Orchester op. 76
Karol Szymanowski:
Stabat mater op. 53