
Ivor Bolton (c) Ben Wright
Ist es spontane Begeisterung, die sich einfach nicht zügeln lässt? Oder mangelnde Vertrautheit mit den Konventionen des klassischen Konzertbetriebs? Das Klatschen zwischen den Sätzen einer Symphonie gilt jedenfalls in der Klassik-Szene heutzutage als Tabu. Das war nicht immer so. Bei den allerersten Aufführungen von Beethovens Siebter Symphonie musste der berühmte zweite Satz wegen seiner unmittelbaren Wirkung auf das Publikum zum Beispiel regelmäßig wiederholt werden. Anlässlich der Aufführung dieser Symphonie bei den „Schlossklängen“ am 17. November mit dem Tonkünstler-Orchester haben wir Ivor Bolton, den Dirigenten des Abends, gefragt, was den Unterschied macht.
Ivor Bolton gilt in der Welt der klassischen Musik als Mann für alle Fälle. Den Grundstock seiner stetigen Karriere legte der Brite als ausgewiesener Barock-Spezialist, mittlerweile verfügt er über ein riesiges Repertoire, das bis in die Gegenwart reicht. Momentan ist Ivor Bolton Chefdirigent des Sinfonieorchester Basel, Künstlerischer Leiter des Teatro Real in Madrid, Chefdirigent des Dresdner Festspielorchester und Ehrendirigent des Mozarteumorchester Salzburg.
Herr Bolton, bei den frühen Aufführungen von Beethovens 7. Symphonie kam der zweite Satz so gut an, dass er wiederholt werden musste. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Ivor Bolton: Ich denke, die einfachste Antwort darauf ist die unbestreitbare Größe dieser Musik. Beethoven nimmt uns auf eine unaufhaltsame Reise mit, bei der jedes Ereignis unvermeidlich erscheint.
Spontane Beifallsbekundungen zwischen den Sätzen einer Symphonie waren früher üblich, gelten aber heute als verpönt. Wirkt sich ein Zwischenapplaus auf die Interpretation aus? Können Sie einem Zwischenapplaus auch Positives abringen?
Bolton: Der Applaus zwischen den Sätzen ist im 18. Jahrhundert als spontane Reaktion auf ein bewegendes Werk zu werten. Wir müssen auch berücksichtigen, dass das Repertoire damals aus Musik bestand, die gerade erst geschrieben worden war oder höchstens wenige Jahrzehnte alt war. Diese Reaktionen waren also Reaktionen auf etwas Neues. Die „Auferstehung“ der großen Meister vergangener Jahrhunderte war eine Entwicklung, die im 19. Jahrhundert großes Tempo aufnahm und damit das Konzept eines „Repertoires“ etablierte, das aus den großen Eckpfeilern der westlichen Kultur bestand. Wir sollten dafür dankbar sein – und vielleicht erklärt das das Gefühl unserer Ehrfurcht vor diesen Meisterwerken. Wenn wir also mit unserem Applaus bis zum Ende des gesamten Werkes warten, drückt das unseren Respekt aus.
Ich bin nicht gegen Applaus zwischen den Sätzen, aber ich möchte das Publikum auch nicht dazu ermutigen, wie es einige Dirigenten getan haben. Es ist natürlich traurig und manchmal ein bisschen komisch, wenn Leute irrtümlich applaudieren, weil sie denken, dass das Stück nach dem ersten Satz schon vorbei ist! Man sollte da aber nicht zu streng sein, denn es kann ja durchaus sein, dass die betreffenden Personen zum ersten Mal im Konzert sind.
In Berlioz‘ „Nuits d’été“, die ebenfalls am 17. November in Grafenegg zu hören sein werden, bilden poetische Naturbilder aus Frankreich die Kulisse für aufwühlende Lieder. In welchen Landschaften fühlen Sie sich privat besonders wohl?
Bolton: Da ich als Musiker viel unterwegs bin, gibt es natürlich einiges, was ich erwähnen kann. Da sind zum Beispiel die Seen in Österreichs, besonders der Wolfgangsee und der Attersee. Aber auch die hügelige Landschaft von Oberbayern reizt mich sehr. Ganz anders die andalusischen Olivenhaine, in denen meine Familie ein kleines Haus besitzt: Sie haben eine strenge Schönheit, die kraftvoll über die erstaunliche und manchmal turbulente Geschichte dieser Region erzählt.
Haben Sie in letzter Zeit eine persönliche Entdeckung gemacht, die nicht im Musik-Bereich liegt?
Bolton: Ja, die sehr klaren und ausgewogenen Bücher des amerikanischen Philosophen Daniel Dennett, der nicht so polemisch argumentiert wie seiner Kollegen, mit denen er gewöhnlich verbunden wird. Besonders mag ich das Buch „Von den Bakterien zu Bach – und zurück: Die Evolution des Geistes“, das auch auf Deutsch erschienen ist. Ganz anders sind die Romane von Amelie Nothomb, die ich ebenfalls ins Herz geschlossen habe. Schließlich beschäftigt mich auch Andrew Roberts große Napoleon-Biographie, deren ausgewogener Ansatz zeigt, was dieser Anführer trotz seiner vielen Fehler dennoch für ein Genie und Held war.
Konzertinfo:
SA 17 NOVEMBER 2018, 18.30 Uhr
Grafenegg Auditorium
TONKÜNSTLER-ORCHESTER NIEDERÖSTERREICH
EVA VOGEL, Mezzosopran
IVOR BOLTON, Dirigent
Programm:
Ludwig van Beethoven: Ouvertüre zum Ballett «Die Geschöpfe des Prometheus» op. 43
Hector Berlioz: «Les nuits d‘été» Liederzyklus für Singstimme und Orchester op. 7
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Karten & nähere Infos:
https://www.grafenegg.com/de/programm-tickets/20170925-beethoven-7