Kleine Besetzung, große, leidenschaftliche Musik: Die zweite Mai-Hälfte steht in Grafenegg wieder im Zeichen von Kammermusik. Die besten jungen Ensembles Europas kommen zu einer intensiven Probewoche zusammen und legen dem Publikum in zwei Konzerten die schönsten Werke des Kammermusik-Repertoires zu Füßen. Die Konzerte finden in Kooperation mit der European Chamber Music Academy statt (ECMA). Deren künstlerischer Leiter, Johannes Meissl, ist gleichzeitig Mitglied des Artis Quartett und Professor an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Für den Blog stellt er in zwei Folgen die Werke vor, die das französische Quatour Akilone am 26. Mai in der Reitschule spielt. Seine satzweise Konzerteinführung wird ergänzt durch eine Aufnahme des Artis Quartett.
Von Johannes Meissl
Das wunderbare Quatuor Akilone, international erfolgreiche ECMA-Alumni, mit denen ich über Jahre arbeiten durfte, wird uns in seiner Matinee zwei zentrale Werke des Quartettrepertoires präsentieren, die mich als Spieler und als Lehrer seit Jahrzehnten intensiv begleiten.
Das sechste und letzte der von Wolfgang Amadeus Mozart seinem «caro amico Haydn» gewidmeten Quartette steht in C-Dur. Wie aber schon das einleitende Adagio beginnt, hat etwas völlig Unerhörtes und geradezu Verstörendes: Einsam spielt das Cello ein pochendes c, und daraus entwickeln sich in einem Kanon der nacheinander eintretenden Stimmen düstere Harmonien und schmerzvoll gespannte Vorhalte, die zu einer großen musikalisch-rhetorischen Frage führen. Erst mit dem Allegro (nach dem Halten auf einer Fermate) wird diese Nachtfinsternis von hellem Licht abgelöst – fast wie ein Bild von Caravaggio…
Dieser berühmte Anfang hat dem Quartett den Beinamen «Dissonanzenquartett» eingebracht, und lange Zeit haben viele gedacht, dass es sich da wohl um Fehler oder Irrtümer handeln müsse. Es wurde sogar versucht diese vermeintlichen Fehler zu korrigieren. Das für Mozart so typische «Chiaroscuro» (das Changieren von Hell und Dunkel) und die völlige gegenseitige Durchdringung der vier Stimmen in einem höchst angeregten Diskurs prägen das ganze musikalische Geschehen. Wir erleben die «Vermenschlichung» der instrumentalen Stimmen, einen ständigen Wechsel der Gefühlslagen und Affekte und das ganze Spiel als echtes Drama: das ist aufregend, lebensecht und höchst unterhaltsam! Ein Streichquartett als «Taschenoper»: Verschiedene Charaktere erklingen zur gleichen Zeit, ironische «Rokokozöpfe» und heftigste Dramatik folgen einander in raschem Wechsel – als käme das alles direkt aus dem «Don Giovanni».
Im Andante cantabile verblüfft uns Mozart mit dem Kunstgriff, dass er das Seitenthema ohne seinen ersten Takt beginnen lässt – wir verstehen also erst aus dem Eintreten der weiteren Stimmen, wie der geklungen haben sollte! Überwiegend auf der hellen Seite ist dieses Singen, aber es kommt auch zu einem Ausbruch, als wäre Pandoras Büchse geöffnet worden. Die Coda ist dann der Ausdruck um allen Schmerz wissender Einsicht und Gelassenheit – menschlicher und auch zeitlos aktueller geht es wohl kaum!
Das Menuett ist ein Verwirrspiel mit dem Tanzmodell, «modern» durch die Brechung von Erwartungen – und trotzdem fügt sich alles wunderbar harmonisch zusammen! Im Trio bieten 1. Violine und Cello ein hochdramatisches „Gesangsduett“ über dahinjagenden Begleitfiguren durch die Mittelstimmen:
Im virtuosen Finale schließlich biegt Mozarts Erfindungsgeist quasi immer wieder ab, so als würden wir auch da absichtlich in die Irre geführt und würden fast das Ziel aus den Augen verlieren – aber letztlich endet das Quartett in fröhlicher und positiver Pracht:
Selbst nach unzähligen Aufführungen und ebenso unzähligen Erarbeitungen mit jungen Ensembles bin ich fasziniert von der unbändigen Kraft dieses Werkes!
Lesen Sie Folge 2: Brahms, Streichquartett Nr. 1 c-Moll op. 51
Foto Quatour Akilone (c) Dimitri Scapolan
Wir danken dem Artis Quartett für die Bereitstellung der Aufnahme!
INFO & TICKTES
Sonntag, 26. Mai 2019, 11 Uhr
Reitschule Grafenegg
HARALD HASLMAYR, Moderator
Johannes Brahms: Streichquartett Nr. 1 c-Moll op. 51