Der eine gilt als Vater der Operette schlechthin, der andere als der Erfinder ihrer deutschsprachigen Spielart: Jacques Offenbach und Franz von Suppè hätten 2019 beide ihren 200. Geburtstag gefeiert. Mit einer Offenbach-Gala am 20. Juli sowie der Aufführung von Suppès Konzertouvertüre «Ein Morgen, ein Mittag, ein Abend in Wien» bei der Sommernachtsgala erweist Grafenegg den beiden Meistern Reverenz. In der Musiksammlung der Wienbibliothek ist gerade die Ausstellung «Offenbach, Suppè und der Beginn der Wiener Operette» zu sehen. Deren Leiter, Thomas Aigner, über das Phänomen Operette zwischen Paris und Wien.
Von Thomas Aigner
Wenn heute das Wort «Operette» fällt, so denkt man – durchaus auch im internationalen Kontext – zuallererst an die wienerische Spielart dieses Genres, also an jene «Märchen für Erwachsene», die dem gegenwärtigen Publikum zumeist nur noch «gegen den Strich gebürstet» vorgesetzt werden. Der Beginn des Genres verlief jedoch in durchaus anderen Bahnen. Aus Paris kommend verstand sich die Operette (die anfangs diese Bezeichnung noch gar nicht führte) zwar genauso als Mittel zur Unterhaltung des Bürgertums, doch standen dort Witz, Satire und Persiflage im Vordergrund. Wien nahm die neue Richtung des Musiktheaters zunächst begierig auf, doch wurde bald, nicht zuletzt aus rein chauvinistischen Motiven, der Ruf nach einer von eigenen Kräften getragenen Produktion laut. Tatsächlich entwickelte sich im Zusammentreffen mit der lokalen Theatertradition rasch eine Operette wienerischer Prägung. Sowohl Jacques Offenbach als auch Franz von Suppè, beide 1819 – also vor 200 Jahren – geboren, wirkten als Protagonisten in diesem Spannungsfeld.
1850–1860: Geburt des kommerziellen Musiktheaters
In Paris setzte unter der Herrschaft Napoleons III. ein bemerkenswerter wirtschaftlicher Aufschwung ein, von dem vor allem das Bürgertum profitierte. Zur Unterhaltung dieser Schichten schufen Hervé und Jacques Offenbach Burlesken und Parodien, aufgrund obrigkeitlicher Beschränkungen vorerst nur in kleiner Besetzung. In Wien herrschte indes die im Vergleich textlastigere Posse mit Gesang vor, ehe gegen Ende des Jahrzehnts die ersten Offenbach-Einakter – unautorisiert – importiert wurden. Carl Binder besorgte dazu aus dem Klavierauszug die Orchestrierung. Johann Nestroy war als Theaterdirektor, Autor und Schauspieler an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt. Nach französischem Vorbild schuf schließlich Franz von Suppè die erste «Operette» in deutscher Originalsprache.
1860–1870: À la mode parisienne
Nachdem der Krieg Österreichs gegen Sardinien-Piemont und Frankreich beendet war, stellte Offenbach mit den von ihm geleiteten «Bouffes Parisiens» dem Wiener Publikum seine Operetten in ihrer Originalgestalt vor, vereinbarte aber auch Aufführungen durch lokale Kräfte in deutscher Sprache, deren Einstudierung und Erstaufführung er in der Regel selbst besorgte. Dabei kam es zu einer regelrechten Konkurrenz der Wiener Theater. Höhepunkt der Offenbach-Begeisterung war der Triumph seiner «Schönen Helena». Demgegenüber fiel die nur wenige Monate später uraufgeführte «Schöne Galathée» Suppès in der Publikumsgunst ab. Während Suppè in der Folge für ein Jahrzehnt als Operettenkomponist in den Hintergrund trat, debütierte sein Schüler Carl Millöcker.
1870–1880: Die Wiener Operette formiert sich
Der Deutsch-französische Krieg ließ in Wien den Ruf nach einer eigenständigen Spielart der Operette laut werden: weniger sarkastisch und frivol, dafür mehr auf Opulenz und Eskapismus setzend. Als neuer Stern am Theaterhimmel trat nun Johann Strauss (Sohn) in Erscheinung. Seine «Fledermaus» geriet zum Welterfolg. Auch Suppè trat wieder mit Operetten hervor; mit «Fatinitza» und «Boccaccio» verbuchte er seine größten persönlichen Erfolge. Wenngleich Offenbach durch seine Hinwendung zur Féerie dem neuen Zeitgeschmack Rechnung zu tragen suchte, hatte er doch sein Quasi-Monopol verloren. Der Kulturaustausch zwischen Paris und Wien auf dem Gebiet der Operette funktionierte nunmehr in beide Richtungen.
PARISER AUSSCHWEIFUNGEN
SA 20. JULI 2019
Grafenegg Wolkenturm
LES MUSICIENS DU LOUVRE
AUDE EXTRÉMO , Mezzosopran
THOMAS BETTINGER , Tenor
ALEXANDRE DUHAMEL , Bariton
SÉBASTIEN ROULAND , Dirigent
JACQUES OFFENBACH: Ausschnitte aus «Les Contes d’Hoffmann», «La Périchole», «La Vie Parisienne», «Lischen et Fritzchen» u. a.