Das Shanghai Symphony Orchestra feiert heuer seinen 140. Geburtstag und macht am 25. August im Rahmen einer großen Jubiläumstour auch am Wolkenturm Station. Frank Peter Zimmermann ist Solist in Prokofjews 1. Violinkonzert. Am Anfang des Konzerts unter Chefdirigent Long Yu steht ein Erfolgsstück des chinesisch-französischen Komponisten Qigang Chen, das in aller Welt von den bedeutendsten Orchestern gespielt wird.
INTERVIEW
Ihre Komposition «Wu Xing» bezieht sich auf die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall in der daoistischen Philosophie. Welche Idee steckt hinter Ihrem Werk?
Chen: Antike chinesische Philosophen verwendeten das Konzept von Wu Xing (die fünf Elemente), um das Wesen aller Dinge auf Erden zu beschreiben sowie die gegenseitige abhängige Beziehung zwischen allen Objekten und Lebewesen. Diese Art, die Welt zu sehen, betonte die Einheit aller, und beschrieb sowohl die sich verändernde Qualität von Materie als auch die Transformationen, die sie durchleben konnte. In diesem Stück wollte ich nicht nur den individuellen Charakter eines jeden Elements ausdrücken, sondern auch die logische Folge von Transformationen, die sie miteinander verbindet. Mein Ziel war es, mittels Musik die gegenseitig abhängige Evolution, die Menschen mit der physikalischen Welt verbindet, auszudrücken. Diese zwei Welten erscheinen zu manchen Momenten komplett voneinander getrennt, während sie zu anderen Zeitpunkten so wirken, als ob sie sich gegenseitig vervollständigen.
Trotz der thematischen Verknüpfung des Titels mit China haben Sie «Wu Xing» für eine große, westliche Orchesterbesetzung komponiert. Wie genau zeigt sich das «Chinesische» in der Musik?
Chen: Das Stück entstand vor zwanzig Jahren in Paris im Mittelpunkt der westlich-musikalischen Ästhetik. Gleichzeitig stand ich unter dem großen traditionellen Einfluss chinesischer Kultur, die ich verinnerlicht hatte. Unter diesem äußeren Druck wurde «Wu Xing» geboren, das «gemischte» Kind aus westlich-avantgardistischer Ästhetik und den ältesten Aspekten chinesischer Ideen. Es ist schwierig für mich, meine eigene Arbeit einzuschätzen, aber der chinesische Aspekt dieses Stücks ist wohl die Einbeziehung der älteren Epoche. Obwohl jeder Satz nur zwei Minuten lang ist, verhält sich das Stück wie die alte «gelehrte» chinesische Musik vergangener Zeit, interagierend in subtilen und minutiösen Variationen, welche in einer begrenzten Zeitspanne grenzenlose Möglichkeiten aufzeigen. Jede Note ist absolut notwendig – jegliche Ergänzung oder Wegnahme würde den Effekt schwächen. Es ist ebenso die Handhabung von Klangfarben im Werk. Ich wollte die Grenzen austesten, wie exakt sich alle Instrumente eines Orchesters vermischen können. Nicht ein einziges Instrument sticht aus dem Ganzen heraus, um eigenständig zu existieren. Das ist eine Darstellung eines Grundkonzepts aus alter chinesischer Philosophie: die gegenseitige Abhängigkeit von allem, und das Einssein der Menschheit und des Kosmos.
Wie erklären Sie sich den enormen Erfolg dieses Stücks, das weltweit gespielt wird?
Chen: Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten. Ob ein Stück erfolgreich ist oder nicht, liegt nicht in der Hand des Komponisten. Die drei Stücke, die ich zur damaligen Zeit komponiert habe, Wu Xing, Iris dévoilée und Reflet d’un temps disparu, erscheinen alle häufig in Konzertprogrammen, aber im Bezug auf ihre Form und ihren Inhalt sind sie alle sehr unterschiedliche Stücke.
Olivier Messiaen war Ihr Lehrer. Sie haben Musik in Europa studiert, sind nach Frankreich gezogen und haben die französische Staatsbürgerschaft. Trotzdem sind noch immer viele Verbindungen zu China in ihren Kompositionen. Wie ist Ihr Verhältnis zur chinesischen Kultur und was ist das Besondere an chinesischer Musik?
Chen: Ich wurde in eine Künstlerfamilie hinein geboren. Mein Vater war ein Experte in chinesischer Malerei, Kaligraphie und Oper. Meine Mutter wurde in westlicher Musik ausgebildet, und sie arbeitete im Bereich Filmmusik. Ich selbst erhielt Erziehung in traditioneller chinesischer Musik und chinesischer Oper neben meinem Training in westlicher Musik. Nachdem ich in Paris ankam, ermutigte mich Messiaen oft, zu diesen Traditionen zurückzukehren und nach der Saat für meine Entwicklung in meiner eigenen Kultur zu suchen. Ich bin der Überzeugung, dass es von immensem Vorteil ist, an zwei Kulturen teilzunehmen.
Empfinden Sie einen Unterschied, wie europäische und chinesische Zuhörer Ihre aufnehmen? Oder vermittelt sich Ihre Musik allen Menschen gleichermaßen?
Chen: Ich bin in der glücklichen Lage, viel reisen zu können und viel zu beobachten. Es gibt bestimmt kleine Geschmacksunterschiede in diversen Kulturen. Aber im Großen und Ganzen, seien es nun östliche oder westliche Zuhörerinnen und Zuhörer, sind alle Menschen, und diese besitzen nicht wirklich fundamentale Unterschiede. Sie können zwischen Interessantem und Langweiligem unterscheiden. Eine ehrliche Arbeit, gleich welcher Stil, braucht nur eine gute Aufführung, um einen wirkungsvollen Effekt zu haben.
SO 25. AUGUST 2019 | 19.30 UHR | WOLKENTURM
SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA
FRANK PETER ZIMMERMANN, Violine
LONG YU, Dirigent
QIGANG CHEN
«Wu Xing. The Five Elements» Suite für Orchester
SERGEJ PROKOFJEW
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19
SERGEJ RACHMANINOW
Symphonische Tänze op. 45