Von Weihnachtsmuffelei hält Vea Kaiser wenig. Die Autorin zelebriert die 5. Jahreszeit – samt Nussknacker-Suite, Vanillekipferl und Punsch. Ein Plädoyer dafür, den Advent in vollen Zügen zu genießen.
Von Vea Kaiser
«Influencer müsste man sein», sagte Freundin Marie, als wir letzten Freitag nach der Arbeit durch den Wald spazierten, «dann könnte man jetzt mit einem Spezialvisum irgendwohin fliegen, wo es warm ist und kaum Touristen sind, die Zehen in den Sand stecken, zur Cocktailstunde aufs Meer schauen, in der Hand ein Getränk, aus dem ein Schirmchen ragt oder ein Spießchen mit bunten exotischen Früchten.»
Es war ein kalter, herbstrauchiger Novembertag. Die Luft roch nach nassem Laub und Kaminschwaden. Die Sonne verbarg sich hinter dichten Wolken, eine graue Kulisse, vor der die letzten, noch nicht zu Boden gefallenen Blätter in prunkvollem Goldgelb glänzten. Unter unseren Schuhen knirschte der leicht gefrorene Waldweg, und auch wenn der Wetterbericht nichts Diesbezügliches ankündigte: Schnee lag in der Luft. Mir war nach Maroni und Glühwein und es entzog sich meinem Verständnis, wie sich Marie vor dieser wildromantischen Kulisse zu Fruchtcocktails und Palmenbäumen wünschen konnte. Wir schritten voran und Marie erzählte vom Stress in der Arbeit und darüber, dass sie es seit über einer Woche nicht geschafft hatte, den Geschirrspüler auszuräumen, weshalb sie mittlerweile aus den Pappschachteln vom Lieferdienst äße, obwohl sie doch im Homeoffice sei, welches ihr übrigens Rückenschmerzen verursache und in diesen frühdunklen Tagen sehr aufs Gemüt schlage.

Schloss Grafenegg erstrahlt in weihnachtlichem Glanz © Foto Fally
«Wie soll man da in Weihnachtsstimmung kommen?»
Er hatte also auch meine Freundin Marie erwischt, jener ansteckende Geisteszustand, der sich unter den Ausgelaugten leicht verbreitet und gegen den einzig Kinder völlig immun sind: die Weihnachtsmuffelei. Meine Marie, die eigentlich eine Frohnatur ist und sich eher in die Südsee wünscht, bevor sie raunzt und klagt, ist bei weitem nicht der einzige meiner Lieblingsmenschen, der so gar keine Lust auf Weihnachten hat. Von Jahr zu Jahr wird das schlimmer: Im Oktober bereits schimpft mein Freundeskreis über Lebkuchen im Supermarkt, im November beginnen die Klagen, dass die Vorweihnachtszeit so anstrengend und mühsam sei. Und im Dezember verbreitet sich dann die allgemeine Erschöpfung, das Hoffen, dass das Fest endlich vorbei sei, ehe sich danach die Wehmut breit macht, dass alles so schnell vorüber ging, man gar keine Gelegenheit zum Genießen hatte und sich daher auf das nächste Weihnachten freut, fest an den Vorsatz geklammert, dieses Jahr alles anders zu machen und den Advent freudig zu verleben. Bis die ersten Lebkuchen die Supermarktregale fluten. Marie bemerkte schließlich:
«Wahrscheinlich ist die Weihnachtszeit am schönsten, solange nicht Advent ist.»
Auf so einen himmelschreienden Blödsinn musste ich mit einem Satz antworten, den ich von meiner Großmutter gelernt hatte.
«Advent ist nicht. Advent heißt, dass etwas kommt.»
Eine Ankunft zu erwarten, ganz egal, ob die eines Menschen oder eines Festes, bedeutet immer auch, sich vorzubereiten. Selbst, wenn man nur ein Paket erwartet, bereitet man sich vor, indem man Vorkehrungen trifft, es in Empfang zu nehmen: man stellt sicher, zuhause zu sein, informiert andernfalls Nachbarn oder vereinbart eine Abholung. Meine Großmutter nahm den Aspekt des Vorbereitens sehr ernst: Jedes Jahr buk sie zu Adventsbeginn mindestens zehn verschiedene Sorten Kekse und dekorierte jedes Zimmer des Hauses. Sie nahm sich viele Nachmittage Zeit, um passende Geschenke zu suchen, zu finden und so liebevoll zu verpacken, dass man sich kaum traute, sie zu öffnen. Mit ihren Freundinnen verabredete sie sich für Ausflüge zu besonders entzückenden Christkindlmärkten und Konzerten. Sie trank eigentlich keinen Alkohol, doch ein wohlschmeckender Punsch oder ein Stamperl Eierlikör gehörte für sie in dieser fünften Jahreszeit genauso dazu wie die Schallplatte mit der Nussknacker-Suite, die sie so oft gehört hatte, dass ihre Hülle ganz abgegriffen war und an den Ecken ausgefranst.
Meine Großmutter lebte den Advent nicht, sie zelebrierte ihn. Als Kind liebte ich das. Ich wartete darauf, dass es zuhause eine Woche lang keine Kürbissuppe mehr gab, denn wenn der letzte Gartenkürbis verspeist war, zog im Haus meiner Großeltern die Magie ein: funkelnder Glanz, der die dunklen Holzmöbel zum Strahlen brachte, weihnachtliche Figuren, die gut ausgehende Geschichten erzählten, der Duft von Weihrauch und Bäckerei, Bratäpfeln mit Zimt und Vanille, selbst die Wärme des Kachelofens war eine andere als sonst: umschmeichelnder, beruhigender, angenehmer. Für ein paar Wochen schienen die normalerweise geltenden Naturgesetze der Welt ausgehebelt: vom Licht in Omas Wohnung bis zum Geschmack der Speisen war alles anders, und sogar die Sticheleien meiner Erzfeindin in der Volksschule, die bei jeder Gelegenheit auf mich hinhackte, waren weniger wild und sofort vergessen, wenn ich in Omas Küche trat, in das Hauptquartier von Engelslocken und Lebkuchen, wo das ungeschriebene Gesetz herrschte, dass alles gut ist, denn bald kommt das Christkind.
Einige Jahre später stellte ich im Rahmen meiner rotzfrechen pubertären Trotzphase die großmütterlichen Adventsvorbereitungen in Frage. Ich nörgelte, dass Adventskranzflechten die Finger zerstöre, Kekserlbacken eine viel zu mühselige Arbeit sei und es weit effizienter wäre, welche zu kaufen, anstatt tagelang zu kneten, auszurollen, auszustechen, wieder zu kneten, wieder auszurollen, zu backen, zu wutzeln, mit Marmelade zu bestreichen, mit Schokolade zu glasieren, mit Zuckerperlen zu verzieren. Meine Großmutter seufzte unbeeindruckt und erklärte mir etwas, das ich erst Jahre später verstehen sollte:
«Vorbereitungen helfen nunmal, Vorfreude zu empfinden.»
Diese Ablehnung von Omas Advent-Action dauerte bis in meine Zwanziger hinein. Vom Schlankheitswahn getrieben lehnte ich Weihnachtsbäckerei kategorisch ab und hatte auch fürs Schmücken, Schenken und für Christkindlmärkte wenig über. Doch je älter ich wurde, desto öfter dachte ich an jenen Satz meiner Großmutter zurück und verstand schließlich, was den eigentlichen Zauber einer ausgiebig ausgelebten Vorweihnachtszeit ausmacht: dass man sich zu einem guten Stück wieder wie ein Kind fühlen und jenes einzigartige Gefühl erleben kann, das eine jede Kindheit so besonders macht – die ehrliche Vorfreude. Je erwachsener man wird, umso schneller vergeht die Zeit. Jahreszeiten verschwimmen, ganze Jahre schwinden dahin zwischen vollen Terminkalendern, zusammengesetzt aus Arbeitsdruck und Freizeitstress, sodass sogar etwas Schönes und höchst Erfreuliches wie die unschuldige Weihnachtszeit zur Belastung wird.

Kunsthandwerk und Weihnachtsstimmung © Foto Fally
«Es gibt ein süditalienisches Sprichwort», sagte ich zu Marie, während wir die letzten Meter auf dem Waldweg zurücklegten, kaum noch etwas sehend in der frühen Dunkelheit, «wenn alle schneller laufen, dann geh langsamer.»
Ich weiß nicht, ob meine Oma dieses Sprichwort kannte, aber ich bin mir sicher, es hätte ihr gut gefallen. Denn im Kern verkörperte es ihre Philosophie des Adventszaubers: Entschleunigung. Sie nahm sich Zeit für Christkindlmärkte, Weihnachtskonzerte, Backen und Schmücken, um am Ende des Jahres, in Vorbereitung des großen Fests, das Leben bewusst zu genießen. Sie verlängerte das Jahr, indem sie das Dictum von der fünften Jahreszeit ernst nahm.
«Und gerade weil du so viel Stress in der Arbeit und schlechte Laune hast, solltest du den Advent in vollen Zügen verleben. Gegrillter Fisch am Strand und Südseesonne sind eh nicht in deiner Reichweite, Vanillekipferl und Weihnachtsbeleuchtung allerdings schon.»
Marie sagte nichts dazu. Doch als wir im Auto saßen und ich demonstrativ die Nussknacker-Suite aufdrehte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass sie lautlos mitpfiff. Wir waren nur die kleine Runde gegangen, weil Marie zu Beginn unseres Spaziergangs angekündigt hatte, heute noch arbeiten zu müssen.
«Soll ich dich bei der U-Bahn rausschmeißen oder holen wir uns noch einen Punsch to go?», fragte ich sie schließlich.
Marie überlegte einen Moment, während aus dem Autolautsprecher das Glockenklingeln vom Tanz der Zuckerfee erklang, jenes lieblich-freche Klingelingling-klingeling-klingeling-lingelingelingling, das mir sogar im Hochsommer Lust auf Schneeballschlachten macht.
«Ach, Advent kommt nur einmal im Jahr und ich glaub, wenn ich eines grad wirklich nötig habe, dann ist das etwas Vorfreude. Und Punsch.»