Blog, Hashtag, Selfie, Cloud, Twitterblase … tolle Begriffe für faszinierende Phänomene. Es kommen immer neue dazu, gut so. In diesem Beitrag für den Grafenegg Blog geht es auch um ein paar Begriffe, die sind ein bisschen älter als die vorhin genannten, aber um nichts weniger faszinierend. Dann und wann ist ein kleiner Hinweis auf die Herkunft der Wörter eingebaut, meistens Fremdsprachen – «lat.» heißt Latein, «altgr.» heißt Altgriechisch … und so weiter, alles, damit Sie sich bestens vorbereitet und unbeschwert durch die Musikwelt und den Grafenegger Festivalsommer bewegen. Seien Sie neugierig!
Von Alexander Moore
«Welch ein Augenblick!»
Alles ist einmalig: Jeder Sommer in Grafenegg ist eine Klasse für sich, jeder Genussmoment ist rasch verflogen und beim nächsten Mal wieder ganz anders. Einmalig ist auch «Fidelio», Beethovens einzige Oper – lassen wir einmal beiseite, dass es gleich drei Fassungen gibt. Eine Oper in Grafenegg, das ist nichts Alltägliches. Ursprünglich hieß so ein Wunderwerk etwas umständlich «opera in musica», also «Kunstwerk in Musik» – um anzudeuten, dass da noch mehr ist als nur Musik. Diese Kunstwerke (lat.: opera) ergaben gemeinsam mit Musik eine herrliche Verbindung – nämlich das Musiktheater, oder nennen wir es eben kurz: Oper. Dichtkunst und Tonkunst stehen vor dem Traualtar im Musentempel. Über Jahrhunderte wurden die guten alten Geschichten aus der antiken Götterwelt nacherzählt, bis sich nach und nach alltägliche Themen in die Opern einschlichen: Adelige mit allzu menschlichen Schwächen, gewitzte Dienerinnen und Diener mit einem Hang zur harmlosen Intrige – solche Dinge eben. Solange die Oberschicht am Ende immer noch einigermaßen gut dastand, störte es den Kaiser nicht.
Aber wehe, wenn eine Oper einmal eine Protestgeschichte erzählte – noch dazu eine, in der am Ende ein Repräsentant der Staatsgewalt als Urheber allen Übels entlarvt wurde! In einer Welt, in der es noch keine knallharten ZiB2-Interviews gab, konnte eine solche Oper brandgefährliche Auswirkungen haben. Der Genrebegriff heißt «Befreiungsoper», wie die Musikhistorikerinnen und -historiker gerne sagen; also weder tragisch noch heiter, ohne aufgesetzte Standesdünkel, aber dafür mit Heldinnen und Helden, die sich ihre Erfolge meist mühsam erarbeiten müssen. Solche Opern waren nach der französischen Revolution in Paris unglaublich populär, das Genre fand seinen Weg auch nach Wien. Gleich drei Schriftsteller schrieben für «Fidelio» das Libretto, also die Textvorlage einer Oper. Beethoven als Fan der Revolution und mächtiger Influencer seiner Zeit war einer solchen Geschichte gegenüber aufgeschlossen – das Ergebnis war sein «Fidelio»: Die verzweifelte Leonore versucht, als Mann (Fidelio!) verkleidet, in das Gefängnis einzudringen, in dem ihr Ehemann Florestan zu Unrecht von seinem Widersacher eingekerkert wurde. Als Gehilfe des Gefängniswärters Rocco muss sie sogar das künftige Grab ihres Mannes ausheben – ein Trompetensignal kündigt in allerletzter Sekunde die Rettung an. «O namenlose Freude» heißt das wundervolle Duett – ein Gesangsstück für zwei Stimmen – mit dem Leonore und Florestan sich wieder in die Arme sinken dürfen.


Oper ohne Oper?
Weil die Handlung von Fidelio viele kräftige Bilder hergibt – finstere Kerker, verzweifelte Momente und Gefangene, die sich nach jedem kleinen Sonnenstrahl sehnen – steht «Fidelio» natürlich häufig auf den Spielplänen der Opernhäuser. Dabei ist Beethovens Musik alleine so stark, dass man sich die aufwühlende Szenerie auch sehr gut dazu vorstellen kann. Darum darf man so ein Wunderwerk auch «konzertant» aufführen, also auf der Konzertbühne. Bühnenbilder, Kostüme, Licht und Requisiten stellen wir uns einfach dazu vor; oder noch besser: wir lehnen uns zurück und hören Peter Simonischek zu, der uns die packende Handlung zwischen den Gesangsstücken erzählt.
Das Konzert vor dem Konzert
Zu den schönsten Features von Grafenegg zählen die Prélude-Konzerte (lat.: Praeludium, Vorspiel). In seiner französischen Übersetzung haben sich die Konzerte am Spätnachmittag noch vor dem Einführungsvortrag für die Abendkonzerte zu einem echten Publikumsmagneten entwickelt. Seit Beginn des Grafenegg Festivals gab es einige Préludes, die zu Sternstunden wurden.

Am Sonntag sind die Soundartists im Schlosshof zu hören: Passend zum «Fidelio» bleiben wir in der Welt der Oper. Das Ensemble mit Mitgliedern des Tonkünstler-Orchesters saust im kompakten Format durch rund 100 Jahre Operngeschichte: Mozart, Rossini, Verdi, Bizet und Weber – zum Wiederhören und neu Kennenlernen. Auf jeden Fall mit hohem «Da Capo»-Faktor (ital.: da capo, von Anfang an), also am besten gleich noch einmal, weil es so schön ist.
Gleich tags darauf gibt es im Prélude buchstäblich wichtige Neuigkeiten zu hören: Aus der Komponistenwerkstatt von Kontantía Gourzí steht ein ganzes Programm im Zeichen ihrer Musik. 2020 war sie in Grafenegg die erste weibliche Composer in Residence – einige schöne Pläne fielen der Pandemie zum Opfer, werden aber selbstverständlich nachgeholt. Zum Beispiel jetzt, mit einem kurzen Streifzug durch ihre ansprechende Klangwelt.
Grüß Gott, Herr Bruckner
Ist er als Meister vom Himmel gefallen oder doch langsam und beständig in der oberösterreichischen Erde herangewachsen, nur um heute fest und kräftig dazustehen? Die Faszination, die von Anton Bruckner ausgeht, lässt sich nur schwer beschreiben. Aber man kann sie spüren und hören. Seine Symphonie Nr. 7 war der endgültige Durchbruch für den damals schon 60-jährigen Komponisten. Bei der Uraufführung am 30. Dezember 1884 in Leipzig war das Publikum außer sich – daran hat sich seither nichts geändert. Die Siebte zählt zu den großen Hits von Bruckner. Schöner kann ein Sonntag eigentlich nicht beginnen: Im Rahmen einer Matinée (frz.: matinée, Vormittag oder Früh) erklingt die Siebte ganz international, mit einem Orchester aus Belgien unter der Leitung eines Spaniers. Das Besondere daran: Gespielt wird auf Originalinstrumenten, also stammen die Instrumente entweder aus der Zeit Bruckners selbst oder wurden genauso nachgebaut, wie es damals üblich war. Streichinstrumente spielten damals auf den über Jahrhunderte gebräuchlichen Darmsaiten, heute werden die lauteren Stahlsaiten verwendet, mit denen man die immer größeren Konzertsäle besser ausfüllen kann. Auch bei den Blasinstrumenten gibt es interessante Details, die zu Bruckners Zeit noch anders waren – im Ergebnis hören wir seine Symphonie also ganz genau so, wie er selbst sie hörte. Ist das nicht unglaublich?
Bellissima Italia, bellissimo Beethoven

Im seinem Herzen ist Grafenegg ein Orchesterfestival. Die großen internationalen Orchester von Fernost über Europa und bis in die USA geben sich in Niederösterreich Jahr für Jahr ein Stelldichein. So viele Klänge der Welt in greifbarer Nähe, ein musikalisches Gesamtkunstwerk. Natürlich gibt es auch ein Residenzorchester, also eines, mit dem das Festival besonders verbunden ist: In Grafenegg ist es das Tonkünstler-Orchester (altgr.: orchēstra, Tanzplatz für den singenden Chor vor einer Theaterbühne) mit seinem Chefdirigenten Yutaka Sado. Zum Ausklang des Eröffnungswochenendes gibt es ein Fest ganz nach Art der Tonkünstler: Virtuoses für Klavier und Orchester mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 3; nach der Pause dann Abfahrt nach Süden. In Italien begegnen wir Ottorino Respighi aus der allerletzten Generation der Romantiker. Die «Pinien von Rom» und die «Römischen Feste» heißen seine Sammlungen von symphonischen Dichtungen, also Orchesterwerke mit einem imaginären roten Faden, einem Thema. Eine gute Gelegenheit, einen reschen Welschriesling mit einem federleichten Pino Grigio zu vergleichen – natürlich nur eine kleine Kostprobe, damit die Freude auf das nächste Mal umso größer ist.
FESTIVAL-ERÖFFNUNG «FIDELIO»
13. August | 19.30 Uhr | Wolkenturm
Interpreten
Gstaad Festival Orchestra
Jonas Kaufmann , Florestan
Sinéad Campbell-Wallace , Leonore
Falk Struckmann , Don Pizarro
Matthias Winckhler , Don Fernando
Andreas Bauer Kanabas , Rocco
Christina Landshamer , Marzelline
Patrick Grahl , Jaquino, Jaquino
Peter Simonischek , Sprecher
Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Petr Fiala , Choreinstudierung
Jaap van Zweden , Dirigent
Programm
LUDWIG VAN BEETHOVEN
«Fidelio» Oper in zwei Aufzügen
Konzertante Aufführung
Textfassung: Walter Jens «Roccos Erzählung»
Bearbeitung: Brigitte Karner