Advent kommt vom lateinischen Wort für Ankunft. Die junge Autorin Sarah Rinderer erzählt mosaikartig vom hektischen Ankommen aus dem Alltag beim Grafenegger Advent, von Blickkontakten unterschiedlicher Personen, vom Leiser-Werden, von immer kleineren Gesten bis zum Beginn des Weihnachtskonzerts im Auditorium. Hören Sie genau hin, beobachten Sie und halten Sie inne. Die Schlossgeschichten sind eine literarische Ergänzung am Grafenegg Blog. Unterschiedliche Autorinnen und Autoren verzaubern mit fiktiven Kurzgeschichten, die das Schloss sowie sein gesamtes Areal zum Schauplatz haben.
Von Sarah Rinderer
So laut wie möglich schüttelt ein Kind den Glockenstab. Schellen in den Stunden davor auf bunte
Pfeifenreiniger gefädelt, mit bemaltem Handgriff, blau glitzernd.
Andere schlagen im Laternenlicht auf Blechbüchsentrommeln, vibrierendes Luftballonmembran.
»Aber das eigentliche Weihnachtskonzert kommt doch jetzt erst… «
Sehr lautes Lachen. Mit Zuckergussakzent im Mundwinkel.
Vielstimmiges Durcheinandersprechen. Ein Luftstrom, gleichmäßig, verdichtet, der vom
Schlossgarten nach drinnen, ins Warme drängt.
»…das Jahr schon wieder fast zu Ende, bevor wir uns…« »…jetzt endlich geschafft…« »…freue mich
schon so lange auf…« »…mir ein wenig schwer, in Adventsstimmung zu kommen, bei allem, was
derzeit so…« »…also wir kommen jedes…« »…ich zum ersten Mal hier…«
Jemand niest.
Handyläuten.
»…hier beim Eingang zum Auditorium. Kannst du mich…«
Sich mischende Klingeltöne.
»…jetzt keine Zeit. Wir hören uns dann morgen…«
Noch den Nachhall des Turmblasens im Ohr. Der Drehorgelmelodie des Adventmarkts aus
Bienenwachs, frischem Stroh, Wünsch-dir-was, Feuerstelle, sich langziehenden Fäden von
geschmolzenem Käse, Marzipan, dem Gefühl von Handflächen um eine warme Tasse gelegt.

In der Garderobe Staubzucker, Lebkuchenbrösel laut von Daunenjacken, Wintermänteln klopfen.
Einen Wollhandschuh vom Boden aufheben.
Papiersäcke über die Theke reichen, bis oben hin voll mit selbstgebastelten Instrumenten,
Kunsthandwerksgeschenken, in Seiden-, Zeitungspapier eingeschlagen und mit handgeschriebenen
Schildern.
»Sie kommen ja von weit her zu uns.«
Das Aneinanderstoßen von Kleiderbügeln.
Metall an Metall, Garderobennummer an Münzen.
Durch den Vorraum rufen: »… dass du auch hier…«
Dichtes Beieinanderstehen.
»…so ein Schönes…«
Gläserklirren an der Bar.
»…mich heute mal was getraut…«.
Schäumen der Getränke beim Einschenken.
Sich im Smalltalk warmspielen, aufeinander einstimmen.
»Nein, sag bloß, das ist schon deine Große…?«
Das Knacken von Nüssen.
»…am neugierigsten auf diese Volkslieder aus der Auvergne…«
Noch ein wenig Glitzer unter den Fingernägeln, noch schnell einmal auf die Toilette, bevor das
Konzert beginnt.
Im halblauten Takt von zufallenden Kabinentüren die immerselbe Spielgeste vor dem
Bewegungsmelder des Waschbeckens. Spiegelblick.
Laufendes Wasser, dann der Luftstrom des Händetrockners.
Beim Einlass die ausgedruckten Tickets auseinanderfalten.
Jemand davor nimmt die Karte aus einem pastellfarbenen Kuvert, auf dem in Handschrift steht Danke
für alles, legt sie danach wieder zurück hinein.
Die Hände der Platzanweiserinnen und Platzanweiser, die die kürzesten Wege zu den Sitzplätzen in der Luft
beschreiben, als würden sie ein Orchester dirigieren: Galerie, links, rechts, Parterre, rechts, links,
Balkon.
Sich vorstellen, dass die Schrittfolgen von den Logenplätzen aus wie das Einziehen der Kinder in die
Stube beim Nussknackermarsch aussehen.
Eine Melodie vor sich hinsummen, die man schon oft gehört hat.
Galerie, links, rechts, Parterre, rechts, links, Balkon.
Weiche Sitzpolster.
Mit den Fingern übers Stoffgewebe streichen wie über einen Klangkörper.
Im Vorraum zum Auditorium wird es langsam ruhiger. Halbleise.
Das Licht im Saal hat einen warmen, orange-rötlichen Grundton.
Fußwippen.
Den Knopf des Blazers öffnen. Das glatte Gefühl von Satinfutter an der Haut. Nicht sicher sein, ob das
ein Fleck auf der Hose – mit dem Fingernagel leicht darüberkratzen. Extra aufgespart für besondere
Anlässe.
Die Wände im Saal sind leicht schief.
Es ihnen gleichtun und das eigene Gewicht um jeweils zwei bis drei Grad von einer Seite zur anderen
verlagern, sich um-, schnell wegschauen, wenn sich zufällig zwei Blicke treffen. Auf poliertes
Eichenholz, eierschalenfarbenen Kalksteinputz.
»…gehört, dass wir hier quasi mitten in der Musik…«
Vorne Bühnenbodenglänzen, die Notenständer des Orchesters, das erhöhte Podium des Dirigenten,
seitlich ein Weihnachtsbaum mit dunkelroten und beigen Kugeln.
»…meine Nordmanntanne zuhause auch schon geschmückt…«
Das Tippen von Fingern auf Displayglas. Wischen.
»Schau, die erste heuer, vom Selfservice beim Supermarkt…«
Stoff an Stoff, nochmal Aufstehen für zwei mit Platzkarten in der Mitte der Reihe.
»…besuchen an Weihnachten sowieso meine…«
Duftnote im Vorbeigehen: süßlich-herb, holzig, Bergamotte vielleicht, noch etwas Erdiges,
Eichenmoos. Auch ein Hauch von Desinfektionsmittel.
Wieder setzen.
Der Reißverschluss des Stiefels berührt das Stuhlbein.
Der Sitz knarrt leise beim Zurücklehnen.
»Der 24. bei uns heuer nicht mehr derselbe ohne…«
Ein Kind schaukelt mit den Beinen – vor, zurück. Dazwischen die Schuhspitzen, die kurz über den
Boden streifen.
Seufzen.
Leichtes Vibrieren, bevor das Handydisplay dunkel wird.
Vorsichtiges Öffnen und Schließen von Handtaschenverschlüssen.
Aufklappen von Lesebrillenbügeln.
Blättern in den Seiten des Programmhefts – vor, zurück.
Über das Papier streichen, über die Schriftlinien mit den Stücken des Abends.
»…hätte auch auf so einer Bühne, wenn ich damals nicht…«
Jemand drückt ein Hustenbonbon durchs Aluminium einer Blisterverpackung.
Gesenkte Stimmen. Basslastiges Murmeln.
»…die Volkslieder in Okzitanisch. Eine eigene Sprache neben dem Französischen…«
Den Kopf ein wenig zur Seite neigen.
Ein Geräusch mit Samtsaum, wenn die feinen Glieder der langen Ohrringe einander berühren.
»…hast du das gewusst? Das Okzitanische hat keine einheitliche Schriftsprache. Für einen Laut sind
jeweils mehrere Schreibungen möglich…«
Die Augen für einen kurzen Moment schließen.
Das linke über das rechte Bein schlagen.
Die Hände falten.
»…und umgekehrt. Hörst du mir überhaupt zu?«

Sehr leise.
Im Auditorium wird es langsam dunkel.
Flüstern, ganz nah: »Erzähl ich dir später…«
Vereinzeltes Räuspern.
Das rechte über das linke Bein schlagen.
»Du hast da noch…«
Die vom Chorbalkon herunterhängenden Ketten jetzt besser sichtbar, wie aufgefädelt: Licht Punkt
Punkt Punkt.
Die Türflügel zum Saal werden zugezogen.
Sekundenzeigerticken einer mechanischen Armbanduhr.
»Sch. Kurz stillhalten.«
Über die Schulter, den Sakkostoff streichen. Eine Daunenfeder zwischen Daumen- und Zeigefinger.
Pusten.
So leise wie möglich.
Die Scheinwerfer gehen an.
Sich leicht nach vorne beugen, das Gewicht auf die Sitzkante verlagern.
In der Bewegung innehalten.
Luft holen.
Das Ankommen der Musikerinnen und Musiker auf der Bühne.
Der Moment, wenn im Auditorium die Stille zum Bogen wird, der über Erwartungssaiten streicht und
alles noch offen, noch möglich klingt bis zum
Weihnachtskonzerte in Grafenegg
Sa, 10.12. · 19.00 Uhr & So, 11.12. · 18.00 Uhr · Auditorium
Raphaela Gromes Violoncello · Marina Viotti Mezzosopran · Andrea Eckert Sprecherin · Dmitry Liss Dirigent
PROGRAMM
LÉO DELIBES
«Les Chasseresses» aus dem Ballett «Sylvia»
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI
Rokoko-Variationen für Violoncello und Orchester op. 33
JOSEPH CANTELOUBE
«Chants d’Auvergne» für Solostimme und Orchester, Auswahl
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI
«Der Nussknacker» Ballettsuite op. 71a, Textfassung: Oliver Láng