Musethica ist ein innovatives Konzept, das sich seit seiner Gründung im Jahr 2012 rund um den Globus verbreitet hat. Die Organisation beschreibt ihre Methode als Musikausbildung mit sozialer Wirkung. Mit der European Chamber Music Academy hat Musethica im letzten Jahr einen neuen Partner gefunden und kommt zum ersten Mal für eine Session nach Grafenegg. Wir haben mit der Leiterin von Musethica International, Juliette Dufau, gesprochen, um die Essenz der Idee zu erschließen.
Krankenhaus statt Konzertsaal
Empfangen von einem prunkvoll geschmückten Konzertsaal oder einer umwerfenden Spielstätte, während sich die Musikerinnen und Musiker auf einer großen Bühne vorbereiten und wir schließlich auf den Sitzen gespannt auf den Beginn des Abends warten. So entfalten sich für uns die meisten Konzerte, sei es in Grafenegg, Wien oder anderswo. Bei Musethica sieht dies jedoch anders aus. Obgleich in erster Linie «nur» eine Ausbildungsmethode, hat sie die Grenzen des Bewusstseins für klassische Musik erweitert. Junge Musikerinnen und Musiker, die sich in der Ausbildung befinden, können dank ihr regelmäßig vor Publikum spielen. Doch anstelle von Bühnen und Konzertsälen sind die Spielstätten weitaus familiärer und bescheidener. Krankenhäuser, Gefängnisse, Frauenhäuser und Schulen sind Orte, an denen man keine Kammermusik erwarten würde. Aber genau dort erscheint Musethica. Juliette Dufau erklärt, dass mindestens 85% der Konzerte in sozialen und pädagogischen Einrichtungen stattfänden und diese immer kostenlos seien.
«Diese Konzerte sind für alle Teile der Gesellschaft zugänglich und richten sich vor allem an Menschen, die aufgrund ihrer jeweiligen Lebenssituation nicht die Möglichkeit haben, live Musik zu erleben.»
Juliette Dufau
Musethica auf dem Vormarsch
Was zunächst aus der Not heraus begann, hat sich zu einer internationalen Organisation entwickelt, die unter anderem in Spanien, Deutschland, Schweden und Israel aktiv ist. Seit 2017 ist Musethica in Studienprogramme der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien integriert. Die Musethica-Methode hilft Musikerinnen und Musikern, die bestmögliche Wirkung auf ihrem Instrument zu entfalten und bringt dadurch gleichzeitig hochqualitative Konzerte in öffentliche Räume. Es ist das ungewöhnliche Publikum, das für den Lernprozess der Musikerinnen und Musiker wesentlich ist, denn es unterscheidet sich vom Standardpublikum, das sich nach der Konzert-Etikette verhält. Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen, Obdachlose, Geflüchtete, Gefangene und Seniorinnen und Senioren, die davon unberührt sind, zeigen ihre Reaktion, egal ob gut oder schlecht, auf eine ungefilterte Art und Weise.

Musikerinnen und Musiker brauchen Praxis
Gerade diese Außergewöhnlichkeit im Alltäglichen macht das Konzept so erfolgreich. Die Zuhörerinnen und Zuhörer kommen in den Genuss, klassische Musik live zu erleben, die ihnen sonst nicht zugänglich wäre. Die Musikerinnen und Musiker erhalten wiederum entscheidende Erfahrungen und vor allem ungefiltertes und direktes Feedback vom Publikum.
«Die unmittelbare Resonanz des Publikums kann ihnen helfen, ihre Inspiration, ihr Zuhören und ihre musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln, und eröffnet ihnen eine neue Perspektive auf ihre Rolle als Musikerinnen und Musiker und ihre wichtige gesellschaftliche Funktion.»
Juliette Dufau
Die Erlebnisse, die junge Musikerinnen und Musiker durch Musethica machen, würden dazu inspirieren «Musik und das Musizieren auf eine andere Art und Weise zu erleben.» Es zeigt ihnen alternative Wege auf, wie Musik Bedeutung verleihen kann und ist für die Mitwirkenden selbst ein Ausgangspunkt, um eine neue Vision zu entwickeln. Indem sie aus erster Hand erfahren, welche positiven Auswirkungen sie auf andere haben, lernen sie selbst wertvolle Lektionen. Es ist eine symbiotische Beziehung von absolut singulärem Charakter. Zu erleben, wie ihre Hörerinnen und Hörer durch die Musik Zugang zu ihren Gefühlen bekommen oder wie sie ihnen hilft, sich besser zu konzentrieren, ist für die Künstlerinnen und Künstler motivierend und sinnstiftend.

Musik ist ein Grundbedürfnis
Musethica möchte fester Bestandteil der Ausbildung von Musikhochschulen, Orchesterakademien und Universitäten zu werden, da die Befähigung der Musikerinnen und Musikern, Brücke zwischen einer musikalischen Komposition und dem Zuhörenden zu sein, nicht ausschließlich in einem Proberaum erlernt werden kann. Avri Levitan hat die Organisation vor 11 Jahren in Leben gerufen und betont die Idee, dass Musik ein menschliches Grundbedürfnis sei: «Ich sehe unsere Auftritte nicht als Entertainment, sondern als Antwort auf das humanistische Bedürfnis aller, Musik live zu erfahren.» Musethica kombiniert in seinem Programm tägliche Auftritte, Mentoring und Feedback. In einer typischen Session verbringen die Musikerinnen und Musiker eine Woche mit ihrem Tutor oder Tutorin und spielen nach zwei Tagen intensivem Proben 12 bis 14 Konzerte. Begleitend zu den Konzerten werden die Erfahrungen der Teilnehmenden und Ihre Auftritte in den Meisterklassen mit dem Tutor oder der Tutorin diskutiert. Darauf folgt ein öffentliches Abschlusskonzert bei freiem Eintritt. Cellist und Musethica-Tutor Eckart Runge spricht in einem kurzen Interview über seine Erfahrungen nach einer Session in Berlin:
Musethica in Grafenegg
Bei der Zusammenarbeit der European Chamber Music Academy mit Musethica übernimmt heuer in Grafenegg die Rolle des Tutors Eckart Runge, der das Doré Quartett coacht. Im Zuge der Session spielt das Doré Quartett für soziale Einrichtungen rund um Grafenegg, unter anderem die PsychoSoziale Tagesstätte und Wohnhaus Paudorf. Den Höhepunkt der diesjährigen Musethica-Aktivitäten in Grafenegg stellt ein Kammermusikkonzert mit Werken von Haydn, Brahms und Mahler in der Alten Scheune am 2. Juni dar.
ECMA-Konzerte in Grafenegg
Best of ECMA
Samstag, 3. Juni, 18.30 Uhr · Reitschule
Ensembles der European Chamber Music Academy · Harald Haslmayr, Moderation
Quatuor Hanson
Sonntag, 4. Juni, 11.00 · Reitschule
Quatuor Hanson · Harald Haslmayr, Moderation